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Weg mit § 218! Rede unserer Stadträtin Mathilde Göttel bei der Kundgebung zum 8. März - Internationaler Frauentag

Zur gestrigen Kundgebung und Demonstration des Frauenbündnis 8. März kamen über 800 Menschen an den Friedrichsplatz. Auch DIE LINKE beteiligte sich wieder an der Organisation und Durchführung der mehr als erfolgreichen diesjährigen Veranstaltung. Unsere Stadträtin Mathilde Göttel äußerte sich in ihrer Rede zu 150 Jahren Paragraf 218 - 150 Jahre feministische Kämpfe für sexuelle Selbstbestimmung:

Hallo zusammen, ich freue mich sehr euch alle zu sehen! Wenn wir heute hier in Karlsruhe und überall auf der Welt für das Recht auf sichere und legale Schwangerschaftsabbrüche streiten, dann stehen wir damit in einer langen Reihe feministischer Vorkämpfer*innen vor uns. Denn schon deutlich vor 1968 hat die Forderung nach sexueller Selbstbestimmungen Frauen* für lautstarke Proteste auf die Straßen getrieben. Seit 150 Jahren heißt, für das Recht auf Familienplanung zu streiten, gegen §218 zu kämpfen. In diesem Jahr wird dieser Paragraph 150 Jahre alt. 

Diesem Paragraf nach machen sich Frauen*, die eine ungewollte Schwangerschaft beenden und alle die ihnen dabei helfen, strafbar. Bis heute steht das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in einer Reihe mit Mord, Totschlag oder fahrlässiger Tötung. Dabei ging es in der langen Geschichte des Paragraphen in erster Linie darum, Kontrolle über die weibliche Reproduktionsfähigkeit durch einen kapitalistischen und patriarchalen Staat. Es ging nicht um ein potentielles Kind, sondern um Bevölkerungswachstum für Industrie und Militär. Darum versuchen Rechte Kräfte noch heute sexuelle Selbstbestimmung zu verhindern. Für viele Frauen* war das Verbot bis in die sechziger Jahre hinein allerdings lebensgefährlich, denn ihnen blieben nur unsichere und illegale Methoden. Insbesondere arme Frauen waren von tödlichen Abbrüchen und juristischer Verfolgung betroffen, für Wohlhabende gab es dagegen schon immer Schlupflöcher. Gegen diese Ungerechtigkeit regte sich schon früh Widerstand: Schon um die Jahrhundertwende forderten Feminist*innen wie Helene Stöcker und der von ihr gegründete Bund für „Mutterschutz und Sexualreform“ den Zugang zu Verhütung und Aufklärung und die Streichung des §218. Der Slogan „Dein Bauch gehört dir“ stammt tatsächlich schon von der Jahrhundertwende. 

In den 20er Jahren kam es dann zu Massenprotesten gegen den „Schandparagraphen“ und die damit verbundene soziale Ungerechtigkeit. Theaterstücke und Kinofilme sind über das Leid ungewollt Schwangerer entstanden. Deutschlandweit wurde demonstriert als die Ärztin Else Kienle und der Dramatiker Friedrich Wolf wegen „gewerbsmäßiger Abtreibung“ verurteilt werden sollten. Der Höhepunkt der Bewegung war eine Kundgebung von über 10.000 Menschen am Berliner Dom 1931. Außerdem gründeten Feminist*innen in dieser Zeit ein Netz von Sexualberatungsstellen in ganz Deutschland: Versorgung mit Verhütungsmittel, Aufklärung über §218 und unter der Hand auch Vermittlung zu hilfsbereiten Ärzt*innen.

Während der NS-Zeit wurde der §218 in den Dienst der nationalsozialistischen Rassenpolitik gestellt: Die Todesstrafe gab es für  die „Beeinträchigung der Lebenskraft des dt. Volkes“. Gleichzeitig fanden Abtreibungen und Zwangssterilisationen bei Menschen, die in Augen der Nazis „minderwertig “ waren, statt.
Aus der Zeit stammt auch das sogenannte „Werbeverbot §219a“, das es bis heute Ärzt*innen verbietet über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Wenn wir den §218 abschaffen und dann sind wir dieses Werbeverbot auch los!

Als mit der zweiten Welle der Frauenbewegung ab Ende der Sechziger Jahre erneut Massenproteste auf den Straßen für die Abschaffung von § 218 stattfanden, wurde die Forderung laut: sexuelle Aufklärung für alle, selbstbestimmte Sexualität und freier Zugang zu Verhütungsmitteln. Die Proteste führten dazu, dass im Bundestag 1974 eine Fristenlösung verabschiedet wurde, wonach ein Abbruch in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft straffrei geblieben wäre. Dies wurde auf Initiative der CDU vom Bundesverfassungsgericht wieder gekippt. Alles war dann wie davor:  Schwangerschaftsabbruch war nur bei Nachweis einer medizinischen oder sozialen/ psychischen Notlage möglich - ohne diese Voraussetzungen war es weiter straffbar. Die Entscheidung ob eine solche Notlage vorlag, lag bei den Ärzt*innen. Frauen waren damit damit der Kontrolle der Ärzt*innen, zur damaligen Zeit vor allem Männern, unterworfen. Das Bundesverfassungsgericht darum damals nicht zum letzten Mal Zielort für Demonstrationen vieler Frauen. In der DDR hatten Frauen seit 1972 in den ersten 12 Schwangerschaftswochen das Recht auf Abbruch - unabhängig von ihrer Motivation. Wohlgemerkt auch nur weil Frauen dort erfolgreich dafür gekämpft haben. Mit der Wiedervereinigung war dann eine neue Regelung erforderlich: Es Gab zwar Widerstand gegen die Einführung von §218 in ganz Deutschland. Leider wäre von Seiten des Bundestags nur eine Fristenlösung mit verbindlicher Beratung drin gewesen.
Aber auch hier spielte das Bundesverfassungsgericht wieder eine unrühmliche Rolle und kippte selbst das. Seit 1995 gilt darum: Schwangerschaftsabbrüche sind verboten außer bei Gefahr für das Leben der Mutter, schwerer gesundheitlicher Schädigung des Kindes oder nach einer Vergewaltigung.
Ansonsten wird ein Abbruch lediglich nicht verfolgt, wenn er innerhalb der ersten 12 Wochen nach vorheriger Zwangsberatung stattfand.

Frauen*, die abtreiben, sind weiterhin Kriminelle, genauso wie durchführende Ärzt*innen. Wen wundert es da, wenn es heute zu wenige Ärzt*innen gibt, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen wollen und gleichzeitig die Versorgungslage vor allem auf dem Land immer schlechter wird. Und immer noch ist die Frage, welche und wie viele Praxen Abbrüche durchführen und nach welcher Methode diese vorgehen. Letzteres ist eine Art Geheimwissen - Informationsfreiheit für Betroffene sieht anders aus! Ein Kompromiss ist das nicht!

Darum danke an alle Vorkämpfer*innen, ohne euch wären wir heute noch nicht so weit und natürlich werden wir euren Kampf weiterführen.

Weg mit dem Tabu! Für freie sichere und legale Schwangerschaftsabbrüche - 
Für ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung - Für das Recht auf ein Leben ohne oder mit Kindern!  

Für eine Übernahme aller Kosten durch die Krankenkasse - Für eine flächendeckende Versorgung - Für Abbrüche als standardmäßiger Teil der ärztlichen Ausbildung - Für freiwillige Beratung - und für eine Gesellschaft, in der nicht Millionen von Mütter* und ihre Kinder in Armut leben müssen!

150 Jahre sind genug! - endlich weg mit §218