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Für Verhältnismäßigkeit statt Strafrecht

Die Linke Fraktion

Mathilde Göttels Redebeitrag in der Gemeinderatssitzung vom 20.02.2024 zu unserem Antrag "Keine Strafanzeigen für Fahren ohne Ticket im KVV":

"Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren,

da Sie als OB sich bei der Diskussion im Hauptausschuss so als Berater der Pfennigfüchse hervorgetan haben, habe ich hier mal einen echten Schnapper: Auto abstellen ohne Parkschein zu lösen - kostet beim Erwischt werden max. 40 Euro und kann hundertmal wiederholt werden. Dagegen werden bei einer Fahrt ohne Ticket 60 Euro erhöhtes Beförderungsentgelt fällig  - plus eine Strafanzeige on Top ab dem dritten Mal. Da muss man sich wirklich fragen ob hier die Relationen stimmen! 

Und genau darum geht es uns in unserem Antrag: Wir wollen hier eine Angleichung und Verhältnismäßigkeit herstellen und das ist die zusätzliche Verfolgung mittels Strafrecht einfach nicht. Es kann nicht sein, dass Fahren ohne Fahrschein häufig schwerer bestraft wird als alkoholisiertes Autofahren oder Falschparken.

Die bisherige Praxis des Anzeigens ist nicht nur unverhältnismäßig, sie führt im Einzelnen zu untragbaren sozialen Härten und einer sinnlosen Mehrbelastung der Justiz. Und das obwohl der Unrechtgehalt seit längerem umstritten ist und es mit dem erhöhten Beförderungsentgelt und/oder einem Fahrzeugverweis bereits genug Sanktionierungsmöglichkeiten gibt. Hier liegt eine absolute Sonderregel für den ÖPNV vor: weite Teile der Stadtverwaltung seien es Bauordnungsamt, Marktamt, Konservatorium kommen beim Einfordern säumiger Gebühren mit Mahngebühren aus. Zivilrecht reicht also völlig. 

Ergebnis der bisherigen Rechtslage: jedes Jahr müssen in DE immer noch etwa 7000 Menschen ins Gefängnis weil sie ohne Ticket unterwegs waren und die Geldstrafe nach §265a nicht bezahlen konnten. Armut wird hier noch Mal gesondert bestraft.

Neben dem was diese Gefängnisaufenthalte für die Biografie Einzelner bedeutetet - es drohen vielfach Berufs- und Wohnungsverlust - entstehen auf staatlicher Seite so Kosten von 200 Millionen Euro pro Jahr. 

Auf kommunaler Ebene können wir selbstverständlich nichts an der unzureichenden Bundesgesetzgebung ändern. Aber wir können etwas an der Praxis hier vor Ort verändern. Der KVV kann künftig auf eine Anzeige verzichten. Das tut er übrigens bereits, zumindest bei den ersten beiden Malen. Damit kann sich Karlsruhe in die Initiative anderer Städte wie Düsseldorf oder Bremen einreihen, die bereits auf eine Anzeige bei Schwarzfahren verzichten.

Die reine betriebswirtschaftliche Argumentation der Stadtverwaltung ist nicht nur wenig sozial, sie ist auch unsauber: Nach Ihrer Logik müssten bei einem Betrieb mit so hohem Fixkostenanteil wie dem ÖPNV auch die Fahrgäste die seit Beginn des Kombiprojekts weggefallen sind für etwaige steigende Ticketpreise verantwortlich gemacht werden, oder alle die statt ÖPNV das Fahrrad benutzen.

Für Verhältnismäßigkeit statt Strafrecht - darum Nein zu weiteren Anzeigen nach §265a im KVV."

Zum Antrag: Keine Strafanzeigen für Fahren ohne Ticket im KVV