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Bericht aus dem Gemeinderat vom 19.09.23

Der Gemeinderat am 19. September war geprägt durch Themen der Mobilitätswende, das heißt: des Ausbaus des Fuss- und Radverkehrs in Karlsruhe.

Über 17.000 Unterschriften waren im August von den Initiator*innen des Fuss- und Radentscheids im Rahmen eines Bürgerbegehrens eingereicht worden. Gefordert und durch die zahlreichen Unterschriften unterstützt, wurde eine Vielzahl von konkreten Maßnahmen zum Ausbau des Fuss- und Radverkehrs in Karlsruhe in den nächsten 7 Jahren. Damit sollte das vom Karlsruher Gemeinderat beschlossene "Karlsruher Programm für aktive Mobilität" zum Leben erweckt werden.

Die Antwort der Verwaltung lautete: "Das Bürgerbegehren … ist rechtlich unzulässig."

Die Maßnahmen des Fuss- und Radentscheids seien zu wenig konkret - Zeitplan und Kosten unklar und damit die rechtlichen Voraussetzungen für einen Bürgerentscheid nicht gegeben. Die Initiator*innen erhielten am 08.09. die juristische Begründung der Stadt und bekamen am 12.09. im Hauptausschuss die Möglichkeit einer Stellungnahme.

Der Bitte nach Verschiebung einer Entscheidung im Gemeinderat auf den 10. Oktober und damit mehr Zeit für die Initiator*innen, sowohl die juristische Stellungnahme der Stadt zu prüfen und ihr zu entgegnen als auch inhaltliche Argumente vorzubringen, schlossen wir uns mit einem Geschäftsordnungsantrag  an. Wir halten es für falsch, das Votum von 17.000 Karlsruher*innen und ein halbes Jahr der Arbeit der Initiator*innen, begleitet von vielen Gesprächen mit Menschen in Karlsruhe,  in aller Eile vom Tisch zu wischen.

Geschlossen - mit nur einer zustimmenden Stimme außerhalb der LINKEN-Fraktion - lehnte der Gemeinderat unseren Antrag ab. Der Gemeinderat müsse der juristischen Bewertung der Stadtverwaltung folgen, so die einfache Begründung.

Bei der eigentlichen Behandlung des Tagesordnungspunktes folgte der gesamte Gemeinderat mit Ausnahme der LINKEN dieser Auffassung und stellte die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens fest. Den Initiator*innen bleibt die Möglichkeit Rechtsmittel einzulegen.

Die Stellungnahme der Stadtverwaltung zum Thema hatte auch zwei minimale inhaltliche Zugeständnisse vorgeschlagen. Dazu sprach unsere Stadträtin Mathilde Göttel. Sie betonte dabei das aus ihrer Sicht unfassbare Engagement des Begehrens für konkrete Maßnahmen für den Fuss- und Radverkehr: "Es ist für mich eine unfassbare Ignoranz, die den Initiator*innen und 17.000 Karlsruher*innen entgegengebracht wird. Den Vortrag der Stadtverwaltung und des Gemeinderats, wie Politik gemacht werden soll, empfinde ich als ungeheuerlich. Es ist gut selbst aktiv zu werden und als Bürger*innen selbst Forderungen einzubringen. Und es ist notwendig in Karlsruhe, wo schöne Konzepte wie das "Karlsruher Programm für aktive Mobilität" beschlossen und dann nicht umgesetzt werden, mehr konkrete Maßnahmen und das vorhandene Konzept für Fahrrad- und Fussverkehr auch wirklich umzusetzen. Das Begehren ist nach bestem Wissen und Gewissen gemacht und formuliert worden. Wir sollten uns Zeit lassen und heute nicht abstimmen - weder was die rechtliche Zulässigkeit angeht, noch bezüglich des kleinsten inhaltlichen Angebots der Stadtverwaltung".

Die Stadtverwaltung hatte angeboten sogenannte modale Filter - also bauliche Maßnahmen, um in einzelnen Straßen eine Durchfahrt von KfZ-Verkehr zu unterbinden. Außerdem wurde eine jährliche Dialogveranstaltung vorgeschlagen und die Verwaltung sollte "ermächtigt" werden mit den Initiator*innen weiter über Verbesserungen zu sprechen. Aus unserer Sicht hieße das: „Weiter wie gehabt!“ und stellt kein Entgegenkommen dar.

Mit der Ablehnung des Bürgerbegehrens, das im besten Fall einen verbindlichen Maßnahmenkatalog für die Stadt bedeutet hätte, bliebe der Verweis auf Good-Will-Veranstaltungen der Stadtverwaltung. Alles wie bisher also.

Ein wenig ausgeweitet wurde die Möglichkeit für ein inhaltliches Entgegenkommen im Rahmen der Debatte. Ergebnis war abschließend, dass die Verwaltung nochmals weitere mögliche konkrete Maßnahmen prüfen soll und diese in der Novembersitzung des Gemeinderats vorstellen soll.

Wir beteiligen uns gerne - in Abstimmung mit den Initiator*innen des Fuss- und Radentscheids - an den Überlegungen für eine solche Maßnahmenliste.

Ein wenig fassungslos, wenn auch nicht überrascht, lässt uns die abschließende Feststellung des OB zurück, der ausführte, dass, egal wie das Bürgerbegehren formuliert worden wäre, es eigentlich kaum eine Chance gehabt hätte, die rechtlichen bzw. tatsächlichen Hürden zu überspringen.

Positiv entschieden wurde in einem weiteren TOP die formale Anpassung der "Satzung über Sondernutzungen in den Fußgängerbereichen". Diese folgt der bereits im Vorfeld beschlossenen Umwidmung des Passagehofs in einen Fussgängerbereich und eine weitestgehende Sperrung für den Autoverkehr. Wir begrüßen das sehr.

Und dann ging es nochmals "heiß" und auch erhellend her. Wem gehört die Stadt? Oder genauer gesagt: darf die Stadt den Autoverkehr punktuell einschränken? – darum ging es in TOP 16, der sich mit der Weiterentwicklung der nördlichen Karlstraße befasste.

Unsere Stadträtin Mathilde Göttel sprach als Einstieg in ihre Rede von einer Unterhaltung mit ihrer Schwester. Mit einem Fahrradkorb statt schwerem Rucksack mache ihrer Schwester auf einmal das Fahrradfahren Spaß. Ein "Gamechanger" sei das für ihre Schwester gewesen - nachher fragt man sich, warum man das nicht immer so gemacht habe.

Mathilde Göttel wagte einen Blick in die Zukunft: "Mit der Karlstraße als Fussgängerzone wird das genauso sein. Alle werden denken, wie es anders sein konnte. Man denke an den Fussverkehr über die Karlstraße. Zwei kleine Fussgängerübergänge, mit (roten) Ampeln, die viele Fussgänger*innen nicht stoppen, werden ersetzt durch einen fussläufige Verbindung bzw. Weiterführung der Kaiserstraße in voller Breite. Auch der Europaplatz, der heute noch schlecht dasteht, wird mehr Fläche zum Aufenthalt erhalten. Radverkehr wird in beide Richtungen - Nord und Süd - durch die Karlstraße möglich sein. Der Bereich wird durch die Sperrung für Autos eine neue Aufenthaltsqualität erhalten."

Mit Blick auf die Verzögerungen von anderen Fraktionen bemerkte sie: "Es lässt mich ratlos, was die CDU will - wollen sie das alles so bleibt wie es ist?" So sieht es aus, dass viele Fragen und der Bezug auf Voten von Bürgervereinen und einzelnen Gewerbetreibenden durch die Blume dieses Ziel verfolgen: dass kein Stück Straße in Karlsruhe für Autos gesperrt wird …"

Sie fuhr fort: „Ich verstehe auch nicht die FDP, die denkt dass mit mehr Raum für Fussgänger*innen und mit zusätzlichem Vergleichsteilnehmern durch neue Fahrradverbindungen, für die Autofahrer*innen trotzdem alles gleicht bleiben kann. Das kann nicht funktionieren. Der Radverkehr in Nord- und in Südrichtung in der Karlstraße ist wichtig. Der Radverkehr darf an dieser Stelle nicht unterbrochen werden.

Schön, dass wir das anpacken. Wir werden uns bald fragen, warum wir so lange gewartet haben."

Die Diskussion zum Thema war lang und es wurde deutlich, wer alles beim Alten belassen möchte: „Vorfahrt für Autoverkehr!“, wer Schritte zur Mobilitätswende gehen möchte, aber ohne (notwendige) Einschränkungen für den Autoverkehr aussprechen zu wollen und wer die Mobilitätswende wirklich unterstützen will, für eine lebenswertere Innenstadt und Klimaschutz im Verkehr.

Übrigens: Fussgängerzone bedeutet natürlich nicht, dass die notwendige Anlieferung von Geschäften verboten würde oder etwas kranke oder alte Menschen nicht mehr zu ihrem Arzt fahren dürften. Das wird von manchen Gegnern gerne unterstellt.

Als Kompromiss wurde letztendlich mit deutlicher Mehrheit beschlossen, die neue barrierefreie Straßenbahnhaltestelle in die Karlsstraße zu legen und den Status der Karlstraße Nord zunächst zweigleisig als Fussgängerzone oder verkehrsberuhigte Zone zu prüfen. Ein kleiner, guter Schritt aber dennoch bleiben Zweifel, ob und wann in dieser Geschwindigkeit eine weitgehend autofreie Innenstadt entstehen kann und wie die notwendige Mobilitätswende hin zu mehr Fuss- und Radverkehr und mehr ÖPNV geschafft werden soll.

Zwei kleine aber nicht unwichtige Themen, die ebenfalls im Gemeinderat behandelt wurden, seien noch erwähnt:

Es wurde beschlossen, dass die Stadt Karlsruhe sich dem Aufruf "Unsere Städte - unsere Stimmen" anschließt.  Dies ist ein Aufruf von Städten, das kommunale Wahlrecht zu ändern, sodass auch Nicht-EU-Ausländer*innen an ihrem Wohnsitz das kommunale Wahlrecht erhalten. Entscheiden kann eine Kommune dies nicht - eine Grundgesetzänderung wäre hierzu erforderlich.

Mathilde Göttel begründete ihre Zustimmung aus eigenem Erleben: "ich kenne einige Menschen, die schon lange in Karlsruhe wohnen und trotzdem von Partizipation ausgeschlossen sind. Die Menschen wollen sich beteiligen, sie wollen Stellung beziehen. Es ist richtig, wie bei einer Herkunft und Staatsbürgerschaft aus EU-Ländern, die gleichen Rechte zu gewähren. Im Widerspruch wird häufig gesagt, die Menschen sollten doch ihre Staatszugehörigkeit ändern. Aber es ist nicht überall leicht die Staatsbürgerschaft zu wechseln, wenn dann z.B. die Reise in das Herkunftsland nur noch schwierig möglich ist. Ich hoffe, dass zukünftig auch der Bundestag das so sehen wird."

Einige Redebeiträge zu einem Kurzbericht nach einem Jahr Sozialer Milieuschutzsatzung in der Südstadt ließen aufhorchen. Manche Gemeinderät*innen benötigen einen vertiefenden Bericht anscheinend nicht mehr. Sie legten sich schon jetzt fest, dass die Milieuschutzsatzung unnötig sei, nur Bürokratie bedeute und wieder abgeschafft werden sollte.

Unsere Sichtweise ist eine andere: Die Satzung wirkt als Signal an Spekulanten, dass sie nicht ungebremst mit Immobilien in der Südstadt Gewinne machen können und wir unterstützen die Bemühungen im Bundestag, durch eine Präzisierung der Bundes-Gesetzgebung das Vorkaufsrecht für Kommunen in Gebieten mit einer sozialen Milieusatzung wieder herzustellen. Dann wäre noch mehr Schutz möglich, gegen Vertreibung von Mieter*innen aus der Südstadt.