Antrag: Die koloniale Geschichte Karlsruhes aufarbeiten

Antifaschismus/Antirassismus/Erinnerungspolitik

Der Gemeinderat möge Folgendes beschließen:

1.  Es wird eine Aufarbeitung des Themenkomplexes „Koloniale Geschichte in Karlsruhe“ seitens des Kulturamts initiiert. Hierzu findet ein enger Austausch mit Akteur*innen der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und  weiteren Hochschulen, der Zivilgesellschaft sowie mit Personen von der Kolonisierung betroffener Herkunftsgesellschaften oder möglicher Nachfahren statt. Die bisherige Arbeit der Pädagogischen Hochschule zu diesem Thema (s.u.) kann eine Grundlage der Aufarbeitung bilden. Im Rahmen dieser Aufarbeitung sollen folgende Aspekte beachtet und mitdiskutiert werden:

a. Die Rollen und Biografien von bekannten Karlsruher Persönlichkeiten im Zusammenhang mit der Kolonialgeschichte.

b. Die historische Darstellung von Kolonialismus in den damaligen kommunalpolitischen Gremien.

c. Die Rolle der Hochschulen und wichtigen wissenschaftlichen Persönlichkeiten in diesem Zusammenhang.

d. Die Rolle der Karlsruher Wirtschafts- und Handelsunternehmen und deren ökonomische Profite durch die Kolonisierung.

d. Die Wirkung von verschiedenen kolonialen Organisationen und Institutionen im Stadtgebiet, wie z.B. dem „Deutschen Kolonialverein“ oder  der „Deutschen Kolonialgesellschaft“.

e. Das damalige gesamtgesellschaftliche Klima in Karlsruhe hinsichtlich der Kolonialisierung.

f.  Die Aufarbeitung großer, historischer Ereignisse der Kolonialgeschichte in Karlsruhe (wie z.B. der Hauptversammlung der deutschen Kolonialgesellschaft vom 03.-06.06.1903).

g. Die Benennung bestimmter Straßen im Stadtgebiet und eine Diskussion, ob die Kommentierung von Straßen - wie bei der Lüderitzstraße oder der Wißmannstraße - wirklich eine ausreichende Maßnahme im Sinne postkolonialer Aufarbeitung bzw. Erinnerungskultur ist.

h. Intensität und Wirkung ideologischer Diskurse sowie praktisch-politische Initiativen zur Wiederherstellung deutscher Kolonialherrschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus (Kolonialrevisionismus).

 

2. Zu den Aufgabenzielen der geforderten Aufarbeitung gehören:

a. Eine umfassende Aufarbeitung und Zusammentragung der verschiedenen historischen Quellen, z.B. im Karlsruher Stadtarchiv, hinsichtlich des Aspekts der Kolonialgeschichte Karlsruhes sowie die Sicherstellung der einfachen Zugänglichkeit dieser Quellen.

b. Die Erstellung einer Publikation zur kolonialen Vergangenheit in Karlsruhe.

c. Die Erstellung eines  Online-Auftritts zur kolonialen Vergangenheit in Karlsruhe ggf. in Kooperation mit der PH Karlsruhe.

d. Eine Untersuchung und Bewertung der Entwicklung und des Betriebs dezentraler Lern- und Erinnerungsstätten sowie Denkmäler und Mahnmale.

e. Der Aufbau intensiverer wissenschaftlicher, kultureller und zivilgesellschaftlicher Partnerschaften und Vernetzungen mit ausgewählten Herkunftsgesellschaften.

f. Die Prüfung einer gemeinsamen Entwicklung und Umsetzung beispielhafter Dauer- und Wanderausstellungen zum deutschen Kolonialismus (anhand des Beispiels von Akteur*innen aus Karlsruhe) und zum antikolonialen Widerstand sowie anderer künstlerischer Aktivitäten, z.B. durch Thematisierung in Stücken lokaler Theater.

g. Die Entwicklung einer Öffentlichkeitsarbeitsstrategie, um eine  Debatte über die koloniale Geschichte und entsprechendes Erbe Karlsruhes in der Gesellschaft zu initiieren.

 

3. Die Entwicklung und Umsetzung von Programmen politischer und kultureller Bildung, die gezielt junge Menschen aus Deutschland und aus den ehemals deutschen Kolonien zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem deutschen und europäischen Kolonialismus befähigen.

4. Es soll eine Kooperation mit verschiedenen Städten in Baden-Württemberg  initiiert und über Möglichkeiten der Umsetzung eines digitalen Museums über die Kolonialgeschichte Baden-Württembergs erörtert werden.

5. Die Verwaltung legt dar - falls Teile des Antragsinhalts nicht bearbeitet werden können - ob eine externe Vergabe an eine wissenschaftliche Einrichtung eine Alternative darstellt inklusive einer entsprechenden Projektförderung.

 

Begründung:

Mit der „Black-Lives-Matter-Bewegung“ ist die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Aufarbeitung der Kolonialgeschichte nochmals deutlich geworden. Gerade das Erbe der Kolonialzeit, der Völkermord der damaligen Zeit und der damit eng verwobene Rassismus ist ein unterrepräsentiertes Thema in der deutschen Erinnerungskultur. Bisher sind es vor allem wissenschaftliche Institutionen, wie Hochschulen oder andere Forschungseinrichtungen, die eine historische Aufarbeitung geleistet haben. In Karlsruhe ist hier das Institut für transdisziplinäre Sozialwissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe zu nennen, das sich mit der (post-)kolonialen Geschichte Karlsruhes auseinandersetzt. Eine Aufarbeitung von städtischer Seite fand bisher wenig bis gar nicht statt. Dies muss sich ändern.

Abseits der bereits geführten Diskussion über den Umgang mit kolonial geprägten Straßennamen ist das Wissen über das koloniale Wirken Karlsruhes nicht weit verbreitet. Dabei spielten durchaus auch Karlsruher Persönlichkeiten eine gewichtige Rolle beim Vorantreiben der Kolonialisierung. So wirkte der in Karlsruhe geborene Karl von Grimm an der Verbreitung des kolonialen Gedankens mit und wurde später auch Vorstand der Gesellschaft für deutsche Kolonialisation in Karlsruhe. Auch Persönlichkeiten aus der Wissenschaft wie Theodor Rehbock – von 1899 bis 1935 Inhaber des Lehrstuhls für Wasserbau an der Technischen Hochschule Karlsruhe und einige Jahre auch Rektor der Hochschule – oder Adolf von Oechslerhauser, als Professor der technischen Hochschule und zeitweise deren Rektor, wirkten sehr vehement an dem Aufbau von Kolonialstrukturen in Karlsruhe mit.

Das System der kolonialen Erschließung der Welt war ein System von Gewalt, Ausbeutung, Unterdrückung, Raub und Mord. Das Erbe des Kolonialismus wirkt auf vielfache Weise nach. Länder, die einmal als Kolonien geplündert wurden, leiden auch heute noch unter den wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Für viele Menschen aus den ehemaligen Koloniegebieten ist Rassismus immer noch ein Teil ihres Alltags.

Die Karlsruher Kolonialgeschichte spielte in der Erinnerungspolitik der Stadt bisher kaum eine Rolle. Umso wichtiger ist es, dass antirassistische Bewegungen, wie aktuell die Black-Lives-Matter-Bewegung, den Blick sowohl auf die koloniale Vergangenheit als auch auf den offensichtlichen, aber auch verdeckten Rassismus in der Gesellschaft werfen. Die Privilegiertheit „weißer“ Menschen und „weißer Gesellschaften“ aufzudecken, zu hinterfragen und aufzubrechen, bedarf zunächst auch einmal der kritischen Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte.

Um dies in Karlsruhe leisten zu können, muss sich umfassend mit den kolonialen und rassistischen Praxen der Vergangenheit und den Auswirkungen auf die Gegenwart befasst werden. Darum fordert die Fraktion DIE LINKE mit diesem Antrag, dass unter Federführung des Kulturamts und zivilgesellschaftlicher, kultureller und insbesondere wissenschaftlicher Akteur*innen – wie dem Institut für transdisziplinäre Sozialwissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe - eine vollumfängliche Aufarbeitung des Themenkomplexes initiiert wird.

 

Unterzeichnet von:
Lukas Bimmerle
Mathilde Göttel